Döner war gestern

Migranten-Unternehmen sind längst erfolgreicher Bestandteil der deutschen Wirtschaft. Dr. René Leicht forscht zum Thema Migrantenökonomie. Im Interview erklärt er, warum Unternehmer mit Migrationshintergrund so wichtig für die duale Ausbildung sind.

Aufnahme von einem älteren Mann, der gerade einen Vortrag hält.
„Migranten-Unternehmen haben eine beschäftigungs- und integrationsfördernde Wirkung“, so Dr. René Leicht. © JOBSTARTER / Fotograf: Christoph Wehrer

jobstarter.de: Gründung, Selbstständigkeit, Migration und Arbeitsmarkt – das sind Ihre Forschungsthemen am Institut für Mittelstandsforschung der Universität Mannheim. Wie wird die Unternehmenslandschaft von morgen aussehen?

René Leicht: Die Zahl der von Migrantinnen und Migranten geführten Unternehmen wird tendenziell weiter zunehmen und auch ökonomisch eine bedeutende Rolle spielen. Wir haben bereits jetzt über 700.000 Migranten-Unternehmen in Deutschland. Gleichzeitig geht demografisch bedingt die Zahl der von Herkunftsdeutschen gegründeten Unternehmen zurück.

jobstarter.de: Warum gehen so viele Migrantinnen und Migranten in die Selbstständigkeit?

René Leicht: Die Motive sind vielfältig. Eine große Rolle spielt der Wunsch nach Autonomie und Selbstbestimmung sowie nach Verbesserung von Einkommen und Status. Migrantinnen und Migranten verdienen im Schnitt weniger als Herkunftsdeutsche, aber in der Regel mehr, wenn sie selbstständig statt abhängig beschäftigt sind. Spezifische Chancen ergeben sich teilweise durch herkunftsbedingte Vorteile, vor allem auf den globalisierten Märkten.

Um ein Beispiel zu nennen: Viele Zugewanderte profitieren von Netzwerkbeziehungen ins Herkunftsland. Sie können hierbei ihre Landes- und Sprachkenntnisse nutzen und entweder selbst Außenhandel betreiben oder aber eine Unternehmensberatung gründen, d.h. deutschen Firmen dabei helfen, Auslandsgeschäfte zu entwickeln.

Bei allem führen natürlich auch Push-Faktoren in Richtung Selbstständigkeit: Migrantinnen und Migranten sind immer noch stärker von Arbeitslosigkeit betroffen. Aber auch in einer Lohnbeschäftigung können sie ihre Qualifikationen nicht so gut zum Einsatz bringen wie bei einer Arbeit auf eigene Rechnung.

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„Die Branchenstruktur von Migranten-Unternehmen hat sich in den letzten Jahren stark verändert.“

Dr. René Leicht

jobstarter.de: Bei Migranten-Unternehmen haben viele Menschen Döner- und Gemüseläden vor Augen. Entspricht dieses Bild der Realität?

René Leicht: Nein. Die Branchenstruktur von Migranten-Unternehmen hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Wir beobachten eine Modernisierung und dabei verstärkt Gründungen in wissensintensiven Dienstleistungen, etwa in Freien Berufen, die sich auf die ökonomische, technologische oder medizinische Expertise spezialisieren. Handel und Gastgewerbe spielen dagegen eine geringere Rolle als früher.

jobstarter.de: Um das eigene Unternehmen für die Zukunft aufzustellen und einem Fachkräftemangel vorzubeugen, bilden viele Betriebe selbst aus. Wie engagiert sind Unternehmerinnen und Unternehmer mit Migrationshintergrund in dieser Hinsicht – auch im Vergleich zu herkunftsdeutschen Unternehmern?

René Leicht: Unseren Erhebungen zufolge hat sich die Ausbildungsbetriebsquote in Migranten-Unternehmen leicht erhöht. Sie liegt mit 18 Prozent noch etwas unter dem Gesamtschnitt von 20,3 Prozent (Link auf Berufsbildungsbericht) D.h. sie hat noch nicht ganz das Niveau der Unternehmen von Herkunftsdeutschen. Dies gilt jedoch nur, wenn man das Ausbildungsengagement anhand des Anteils an Ausbildungsbetrieben misst. Betrachtet man die relative Ausbildungsleistung – also den Anteil der Auszubildenden an allen Beschäftigten – so zeigt sich kaum ein Unterschied. Migranten-Unternehmen sind stark kleinbetrieblich strukturiert. Diskrepanzen in der Ausbildungsbeteiligung sind eher auf einen Mangel an betrieblichen Ressourcen zurückzuführen und weniger auf die nationale Herkunft.

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„Migranten-Unternehmen haben größere Probleme, ihre Ausbildungsstellen zu besetzen, da sie gegen Vorurteile kämpfen müssen.“

Dr. René Leicht, Institut für Mittelstandsforschung

jobstarter.de: Die Zahl der vakant bleibenden Ausbildungsplätze steigt seit 2010 laut BIBB-Erhebung. Inwiefern trifft das aktuelle Besetzungsproblem auch Unternehmerinnen und Unternehmer mit Migrationshintergrund – und vor welchen anderen Herausforderungen stehen sie zudem?

René Leicht: Migranten-Unternehmen haben sogar größere Probleme, ihre Ausbildungsstellen zu besetzen, da sie gegen Vorurteile kämpfen müssen. Das hat hauptsächlich zwei Ursachen: Im medialen Diskurs gelten Migranten-Unternehmen noch häufig als wirtschaftlich randständig, als Betriebe mit prekären Arbeitsbedingungen. Viele Jugendliche haben keine Vorstellung, was sich hinter den Türen dieser Unternehmen verbirgt und wollen dann dort auch nicht ausgebildet werden. Wir können nicht prüfen, inwieweit sich die geringe Wertschätzung auch in den Regelinstitutionen niederschlägt, d.h. ob diese bei der Vermittlung von Ausbildungsplätzen ähnliche Vorbehalte gegenüber migrantischen Unternehmen haben. Hinzu kommt: Zwar verlieren die Bereiche Handel und Gastgewerbe an Bedeutung. Aber dennoch sind Migranten-Unternehmen immer noch häufiger in Branchen tätig, die aus Sicht der Jugendlichen weniger attraktiv sind. Dies sind Gründe, weshalb Migranten-Unternehmen stärker auf strukturell benachteiligte Jugendliche – also auf diejenigen mit Migrationshintergrund oder mit geringerem Schulabschlussniveau – zurückgreifen (müssen).

jobstarter.de: Sie sagten, dass Migrantinnen und Migranten oft strukturell benachteiligte Jugendliche ausbilden. Sollten sie hierbei spezifisch gefördert werden und wenn ja, wie?

René Leicht: Die Ausbildung strukturell benachteiligter Jugendlicher verlangt oftmals besondere betriebliche, soziale und pädagogische Anstrengungen. Daher wäre zu überlegen, wie man die Ausbildungsbedingungen erleichtern und Migranten-Unternehmen stärker unterstützen kann. Im Allgemeinen hat man mit Ausbildungsverbünden gute Erfahrungen gemacht und in diesem Kontext teilweise auch neue Ideen und Instrumente entwickelt. Schon länger erprobt sind ausbildungsbegleitende Maßnahmen, vor allem externes Ausbildungsmanagement. Den Konzepten fehlt jedoch eine breite Diffusion und eine bedarfsorientierte Weiterentwicklung in Richtung solcher Unternehmen, die mit dem deutschen Berufsbildungssystem, den Unterstützungsangeboten und den Erträgen der Ausbildung weniger vertraut sind. Es geht aber genauso darum, diejenigen, die man bereits für das duale Berufsbildungssystem gewonnen hat, bei der Stange zu halten. Alles erfordert konkrete Informationen über die Qualifizierungsstrategien und nicht zuletzt über die Nachhaltigkeit und Qualität der Ausbildung in den Betrieben. Diese kann man generieren, wenn man an den Betrieben dran bleibt, sie intensiv begleitet und sie in ihrem Ausbildungsprozess unterstützt. Allerdings sollten diese Erfahrungen dann auch systematisch zusammengetragen werden.

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„Migranten-Unternehmen haben Erfahrungen mit Heterogenität, arbeiten mit schwierigen und knappen Ressourcen und besitzen Kenntnisse im Umgang mit benachteiligten Jugendlichen.“

Dr. René Leicht

Aufgrund der zunehmenden Heterogenität in der beruflichen Ausbildung stellt sich die Frage, welche Betriebe welche Jugendlichen erreichen und dadurch das Ausbildungspotenzial insgesamt erhöhen können. Auch in diese Überlegungen muss man Migranten-Unternehmen stärker einbeziehen. Sie haben Erfahrungen mit Heterogenität, arbeiten mit schwierigen und knappen Ressourcen und besitzen Kenntnisse im Umgang mit benachteiligten Jugendlichen. Dies soll jedoch nicht dazu führen, dass ressourcenschwächere Betriebe zum Sammelbecken für leistungsschwächere Jugendliche werden. Hier besteht die Gefahr einer Segmentierung. Das heißt Chancen und Risiken liegen eng beieinander und müssen politisch klar benannt werden.

jobstarter.de: Sie fordern, dass Unternehmerinnen und Unternehmer mit Migrationshintergrund stärker gefördert und unterstützt werden. Welchen gesellschaftlichen und ökonomischen Gewinn versprechen Sie sich davon?

René Leicht: Migranten-Unternehmen haben eine beschäftigungs- und integrationsfördernde Wirkung und sind zudem in der Lage, die heterogenen Ausbildungspotenziale besser auszuschöpfen. Vor allem trägt die kulturelle Vielfalt sowohl in den Unternehmen als auch in der Unternehmenslandschaft dazu bei, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit insgesamt wächst. Mit einer höheren Diversität an Unternehmen geht erfahrungsgemäß auch eine höhere Diversität in der Produkt- und Dienstleistungserstellung einher. Dies alles fördert die wirtschaftliche Entwicklung und den sozialen Zusammenhalt und kommt daher allen zu Gute.

Das Interview führte Virginia Gerard.

veröffentlicht: Juli 2016